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Das eigene Handeln durch die Augen des Anderen wahrnehmen

Ein Nachruf auf Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner


Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner auf dem Kongress Enabling Community - Foto: Ingo Siegmund Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner auf dem Kongress Enabling Community - Foto: Ingo Siegmund

Der Psychiater, Psychiatriehistoriker und Reformer Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner ist am 25. September 2022 im Alter von 88 Jahren verstorben. Er hat die psychiatrische Landschaft in Deutschland maßgeblich verändert. Mit seinem Standardwerk von 1978, dem Lehrbuch "Irren ist menschlich", dass er zusammen mit der Psychologin Ursula Plog verfasste, setzte er sich für eine grundlegende Reform der psychiatrischen Versorgung in Deutschland ein. Diese neue zugewandte und zutiefst humane Sicht auf psychisch erkrankte Menschen, hat ihre Lage und ihr Selbstbewusstsein nachhaltig positiv verändert. Ebenso hat es Umgang, Methodik und Haltung von Mitarbeitenden in der Psychiatrie wesentlichen beeinflusst.

 

Ein besonderes Engagement galt ebenso der Aufarbeitung der Medizinverbrechen in der NS-Zeit. Außerdem engagierte er sich für eine humane Pflege in Deutschland. In seinen späteren Jahren hat er sich auch den älteren und pflegebedürftigen Menschen gewidmet. In seinem Werk ‚Leben und sterben, wo ich hingehöre: Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem, sind seine Sichtweisen und Haltungen richtungsweisend auch für unseren heutigen Umgang mit älteren Menschen festgehalten. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.

 

Dörners Wirken als Psychiater war radikal auf den einzelnen Menschen ausgerichtet, auf seine Individualität, ganz gleich welche Einschränkung ein Mensch mit sich bringt, unter der Prämisse: sich selbst und das eigene Handeln durch die Augen des Anderen wahrnehmen.

 

Sein Ziel war es, die traditionellen, ausgrenzenden Anstaltsstrukturen zu überwinden. Und das setzte er auch in die Tat um. 1980 übernahm er die Leitung der Westfälischen Klinik für Psychiatrie in Gütersloh. Die seit vielen Jahren in den Kliniken praktisch eingeschlossenen Patienten wurden unter Dörners Ägide in Wohngruppen in die Stadtteile entlassen – und lebten mitten in der Gesellschaft. Diese wiedergewonnene Normalität half, verschüttete Fähigkeiten wiederzubeleben und soziale Beziehungen aufzubauen.

 

„Diese Auflösung überkommener Strukturen in der Psychiatrie war Vorbild für unseren Prozess der Auflösung von Anstaltsstrukturen hier in der ESA: Z.B. die Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf dabei von Anfang an mitzudenken und sogar mit ihnen anzufangen. Und keine ‚Trainingswohungen‘ einzurichten, sondern gleich ins richtige Leben zu gehen. Und das jedes Quartier und die dortigen Menschen anders sind und es kein Schema geben kann, wo und wie was gelingt. Klaus Dörner unterstütze mit seiner vielfältigen Expertise und seinen Erfahrungen somit auch entscheidende Entwicklungsschritte beim Prozess der Auflösung unserer Anstalt, hin zu einem an dem Willen der Klient*innen orientierten Handeln,“ schildert Vorständin Hanne Stiefvater den Einfluss Dörners auf den Öffnungsprozess der ESA.

 

Bei drei Kongressen der ESA zur Quartiersorientierung, nämlich Community Care (2000), Community Living (2006) und Enabling Community (2009) war er jeweils einer der prägenden Experten.
In seinem Vortrag mit dem Thema „Inklusion jetzt – Thesen zum Umgang mit Menschen mit Assistenzbedarf in der Gemeinde“, beim Kongress Community Living sagte er: „Denn selbst bei den ja durchaus schon hilfreichen Konzepten der Inklusion und der Community Care sind noch wir Profis zu sehr die sorgenden Akteure und Subjekte und die Menschen mit Behinderung und psychisch kranke Menschen die Besonderen und Besonderten.“

Erstellungsdatum 05.10.2022
Kontaktinfos Ingo Briechel
Referent für Öffentlichkeitsarbeit
Alsterdorfer Markt 5
22297 Hamburg
Telefon: 040 5077 3796
E-Mail: ingo.briechel@alsterdorf.de