Erinnern für die Zukunft: Gedenken der ‚Euthanasie’-Opfer
Der 8. Mai steht in der ESA im Zeichen des Gedenkens

Der 8. Mai, der Tag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, steht bei der Evangelischen Stiftung Alsterdorf (ESA) seit vielen Jahren im Zeichen des Gedenkens an die 630 Menschen mit Behinderung, die aus den damaligen Alsterdorfer Anstalten in Tötungsanstalten gebracht wurden – 513 von ihnen wurden nachweislich ermordet.
Mit einem Gottesdienst in der Stiftungskirche St. Nicolaus, gedachten Vorstand, Mitarbeitende, Angehörige und zahlreiche Gäste auch heute der Opfer der Alsterdorfer Deportationen und erinnerten an das Leid der Familien, die eine Angehörige oder einen Angehörigen durch die NS-‚Euthanasie‘ verloren haben.
Besonders berührend war die Aufarbeitung der Schüler*innen der fachschule alsterdorf. Bevor der Gottesdienst begann, standen sie mit Bannern in einer Mahnwache vor der Kirche – auf den Bannern die Namen der ermordeten Menschen. Im Rahmen einer Projektarbeit haben sich die Schüler*innen mit einzelnen Schicksalen der Opfer beschäftigt. Drei wurden im Gottesdienst vorgetragen. Die Schüler*innen haben sich den Verstorbenen genähert, indem sie sich in ihre Gedankenwelt begeben haben. Eindrücklich war auch die Übersetzung einer damaligen Patientenakte in die heutige Zeit. So wurde deutlich, wie heute der Fokus in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung auf den Ressourcen liegt, was ein Mensch kann und wozu er fähig ist.
„Das alles hätte niemals passieren dürfen. Das war falsch. Das war menschenverachtend. Das war das dunkelste Kapitel der Alsterdorfer Anstalten, der Tiefpunkt unserer Geschichte, einer evangelischen Stiftung unwürdig“, sagte Pastor Uwe Mletzko, Vorstandsvorsitzender der ESA. „Um es nie zu vergessen, stehen wir hier. Um es nie wieder möglich zu machen, sorgen wir uns jeden Tag. Deshalb ist Lernen und Verstehen, ist Erinnern notwendig.“
Nach dem Gottesdienst fand die Kranzniederlegung am Lern- und Gedenkort der Stiftung statt.
Mareike Engels, Erste Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft betonte in ihrem Grußwort: „Die Euthanasie war ein Verbrechen an der Menschlichkeit, für das wir uns heute zutiefst schämen. Gedenkstätten wie der Lern- und Gedenkort der Evangelischen Stiftung Alsterdorf sind ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur.“
Landespastor Dirk Ahrens hob in seinen Worten hervor: „Wir machen uns als Kirche und Diakonie stark, dass jeder Mensch gesehen wird – so wie Gott uns sieht. Es gibt keinen Unterschied in der Würde der Menschen.“
Dennis Wendel, Vorsitzender der Gesamtvertretung der Mitarbeiter*innen der ESA: „An Gedenktagen wie diesem überprüfen wir unseren eigenen moralischen Kompass. Unsere Kompassnadel heute zeigt auf Vielfalt, Selbstbestimmung und Inklusion.“
Wieder in der Kirche St. Nicolaus präsentierten die Schüler*innen der 13. Klasse der Bugenhagenschule Alsterdorf eine szenische Lesung zu Sophie Scholl. In verschiedenen Perspektiven näherten sich die Jugendlichen an das Leben und Wirken von Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Von ihr inspiriert fragten sie sich: „Was hätte ich getan? Hätte ich es geschafft, mich gegen das System aufzulehnen?“
Am Nachmittag ging es um die aktuelle Frage „Wie werden aus Helfer*innen in Kliniken Täter*innen?“ Prof. Dr. Karl H. Beine vom Department Humanmedizin der Universität Witten/Herdecke zeigt auf, welche Bedingungen auch heute noch dazu führen können, dass Menschen in Institutionen wie Kliniken und Heimen Opfer von Mitarbeitenden werden. Er verbindet seinen Vortrag in der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll mit einer klaren Forderung an Gesellschaft, Politik und Justiz: „Sorgen wir dafür, dass die Täter*innen von heute auch übermorgen noch aufgrund von Tötungsdelikten verurteilte Straftäter*innen sind.“ Prof. Beine forscht seit vielen Jahren zu Tötungen in Krankenhäusern und Heimen. In seinen Studien zeigte sich, dass bei solchen Taten die psychische Belastung im Klinikalltag eine Rolle gespielt hat.
Das Gedenken am 8. Mai unter dem Motto „Erinnern für die Zukunft“ ist eine gemeinsame Veranstaltung der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll, der Evangelischen Akademie der Nordkirche und der Stiftung Freundeskreis.
Ingo Briechel
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