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  • 1946 - 1979
1904 - 1944 Dorothea
Kasten
Normalisierung 1980-1989

Die Anstalt

Wiederaufbau

Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind geprägt vom Wiederaufbau der schwer zerstörten Häuser auf dem Stiftungsgelände. Viele der Gebäude sind lediglich mit Notdächern versehen. Unter der Leitung des neuen Direktors Oberkirchenrat Volkmar Herntrich beginnt eine rege Bautätigkeit: Die Kirchliche Hochschule bekommt ihren Sitz in Alsterdorf. Neubauten für Mitarbeiter und Schwesternschaft sowie die neue Kinderpflegerinnen-Schule entstehen. Das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf – im Vorfeld des Krieges ausgebaut und für die umliegende Bevölkerung geöffnet – kann seinen Betrieb fortsetzen. Wirtschaftsgebäude werden instandgesetzt. Die Sonderschule nimmt in provisorischen Baracken ihre Arbeit wieder auf.

Konzeptioneller Neuanfang und Großprojekte

Ende der 50er Jahre ist Pastor Julius Jensen der Direktor. Die Stiftung plant in enger Kooperation mit der Stadt Hamburg den Bau der Teilanstalt Stegen, einer 1.000-Betten-Klinik für psychisch kranke Langzeitpatienten vor den Toren Hamburgs (heute: Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus). Die ersten beiden Bauabschnitte mit einem Drittel der ursprünglich geplanten Betten werden in den 60er Jahren realisiert, dann überholen neuere Erkenntnisse die alten Pläne. Anfang der 60er Jahre rücken therapeutische Ansätze wieder in den Vordergrund. Die Systematik, mit der Sengelmann zu seiner Zeit behinderte Menschen gefördert und beschäftigt hatte, ist weitgehend verlorengegangen. Nun werden Beschäftigungstherapie und Arbeitstherapie (heute "alsterarbeit") aufgebaut. Die meisten der 1.200 Bewohner leben jedoch in engen, wenig behindertengerechten Räumlichkeiten. Eine Situation, die gezielte Förderung fast unmöglich macht. Ein Generalbebauungsplan für das Stiftungsgelände soll Abhilfe schaffen. Dem Zeitgeist entsprechend ersetzen drei Hochhäuser die alten Wohngebäude mit zum Teil zwanzigjähriger Verzögerung. Sie lösen zwar die alten Schlafsäle ab, stellen heute jedoch eine erhebliche Altlast dar.

Früherkennung und Pädagogik

Von 1968 bis 1982 ist Pastor Hans-Georg Schmidt Direktor der Alsterdorfer Anstalten. In seine Amtszeit fallen – neben dem Bau der drei Hochhäuser – weitreichende Entscheidungen. Mit erheblicher finanzieller Unterstützung von Versandhausgründer Werner Otto entsteht auf dem Alsterdorfer Gelände 1974 ein Zentrum zur Früherkennung und Behandlung von Behinderungen. Das Werner Otto Institut verfügt über eine interdisziplinär arbeitende diagnostische und therapeutische Ambulanz, eine kleine Klinik und den ersten Integrationskindergarten in der Hansestadt. Das Sozialpädiatrische Zentrum ist das erste ambulante Angebot der Stiftung für Familien mit behinderten Kindern.

"Schlafsaalatmosphäre"

Die Behindertenhilfe der Stiftung ist zu dieser Zeit baulich und personell wie ein Großkrankenhaus organisiert. Medizinische und pflegerische Aspekte dominieren, persönliches Eigentum und Privatsphäre der Bewohner sind ein Privileg, in dessen Genuss nur wenige kommen. Zwar beeinflusst Anfang der 70er Jahre das „Normalisierungsprinzip“ aus Skandinavien auch die Diskussion in Deutschland. Es setzt sich dafür ein, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung denen anderer Menschen außerhalb von Anstalten oder Einrichtungen der Behindertenhilfe gleichzusetzen und Sonderwelten kontinuierlich abzuschaffen. Das Normalisierungsprinzip setzt sich in den großen Anstalten aber nur zögerlich durch. Immerhin entsteht 1975 in unmittelbarer Nachbarschaft des Stiftungsgeländes die erste Außenwohngruppe. Im gleichen Jahr nimmt die Heilerzieher- Schule ihre Ausbildung auf. Ganzheitliche und pädagogische Sichtweisen kommen mit den Absolventen in die Alltagsarbeit, lassen sich aufgrund des vorhandenen Umfeldes jedoch kaum umsetzen. Forderungen aus der Mitarbeiterschaft nach grundlegenden inhaltlichen Veränderungen – der Umsetzung des Normalisierungsgedankens – werden immer lauter. Ein "Kollegenkreis" formiert sich.