- 1990 - 2003
Markt 2003

Neue Wege
Sanierung und Zukunftssicherung
Anfang der 90er Jahre werden wirtschaftliche Schwierigkeiten deutlich. Seit Jahren sind die Ausgaben der Stiftung höher als die Einnahmen – nicht alle Veränderungen sind refinanziert und es fehlt ein klares Budgetmanagment für die einzelnen Bereiche. Der Spardruck erhöht sich. 1992 diskutieren mit äußerster Schärfe Mitarbeiter und Öffentlichkeit die Gehälter der Alsterdorfer Vorstandsmitglieder. Auf dem Höhepunkt der Kampagne tritt Rudi Mondry zurück. 1993 übernimmt ein vierköpfiger Vorstand die Geschäftsführung.
Ab April 1995 führen Vorstandsvorsitzender Rolf Baumbach († 2006) und sein Stellvertreter Wolfgang Kraft (im Amt bis 2009) die Stiftung. Sie leiten mit Unterstützung von Senat, Kirche und Banken eine umfassende Sanierung ein, die zwei Jahre später abgeschlossen ist. Die Zukunftssicherung der Stiftung setzt sich 1998 fort: Vorstand, Mitarbeitervertretung und ÖTV vereinbaren einen gemeinsamen wirtschaftlichen Sanierungsprozess um wieder in neue Projekte investieren zu können. Im „Bündnis für Investition und Beschäftigung“ verzichten alle Mitarbeiter fünf Jahre lang auf Tariferhöhungen. Damit werden 50 Millionen D-Mark für Neubauprojekte verfügbar. Im Gegenzug verzichtet die Stiftungsleitung auf betriebsbedingte Kündigungen und die Ausgliederung von Betriebsteilen. Die Mitarbeitenden erhalten ein Mitbestimmungsrecht bei den Neuinvestitionen. Das Bündnis endet am 31. Dezember 2003.
Mehr Rechte für mehr Selbstständigkeit
Die 90er Jahre: Ein neues Betreuungsgesetz wird am 1. Januar 1992 verabschiedet. Es soll mehr Eigenverantwortung für den einzelnen behinderten Menschen schaffen, besonders in Bezug auf seine Rechtsfähigkeit.
Neue Konzepte in der Behindertenhilfe entstehen. Im Zentrum steht der Mensch mit Behinderung, der mit weitestgehender Selbstständigkeit sein Leben mit professioneller Unterstützung planen und entwickeln soll. Dies wird in einem europäischen Gemeinschaftsprojekt zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland mit dem Titel "Community care" erprobt. Die Evangelische Stiftung Alsterdorf ist an diesem Projekt beteiligt. Der Grundgedanke dieses Projektes zielt besonders auf die Struktur von Großeinrichtungen ab. Ziel ist es, die vorgehaltenen Angebotsstrukturen in solchen Einrichtungen in flexible, nachfrageorientierte Assistenz und Dienstleistungen umzuwandeln. Der behinderte Mensch im Mittelpunkt kauft sich die ihm gemäßen Assistenz- und Unterstützungsangebote selbst oder durch einen Betreuer ein. Solche Modelle werden in Dänemark und Schweden schon seit den 80er Jahren umgesetzt.
Vom Betreuten zum Kunden
Die Reform des § 93 des Bundessozialhilfegesetzes, der in seiner neuen Form 1999 in Kraft tritt, verändert die Situation der Behindertenhilfe erneut. Der hilfebedürftige Mensch wird in den neuen Gesetzestexten zum "Leistungsnehmer". Pflegeanteile in der Betreuung behinderter Menschen sollen aus dem Pflegesatz herausgerechnet werden und aus den Kassen der Pflegeversicherung finanziert werden. Die Anbieter der Behindertenhilfe müssen ihre Dienstleistungen in Form von präzisen Leistungsbeschreibungen offenlegen. Dadurch gibt es keine Bevorzugung von freien, gemeinnützigen Trägern mehr. Alle Anbieter haben die gleiche Ausgangsposition. Ob sich diese Veränderungen in den nächsten Jahren bewähren werden, wird sich an ihrer praktischen Umsetzung und vor allem an der Meinung der Menschen messen lassen müssen, die diese Angebote wahrnehmen.
140-jähriges Jubiläum - Rückbesinnung und Öffnung
Der 19. Oktober 2003 war in doppelter Hinsicht ein besonderer Tag für die Stiftung: An diesem Tag vor genau 140 Jahren wurde das Haus Schönbrunn, als Heim für zehn Kinder mit geistiger Behinderung, auf dem Gelände im heutigen Stadtteil Alsterdorf eingeweiht. Der Begründer der Stiftung, Pastor Heinrich Matthias Sengelmann, legte damit den Grundstein für die Arbeit der damaligen Alsterdorfer Anstalten und der heutigen Evangelischen Stiftung Alsterdorf.
Mit der feierlichen Einweihung des Alsterdorfer Marktes an diesem Tag und der damit verbundenen kompletten Öffnung des Stiftungsgeländes, war ein wichtiger historischer Schritt gelungen: Die Umwandlung eines früheren Anstaltsgeländes in einen attraktiven, urbanen Treffpunkt mit Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und kulturellen Angeboten.