Unterstützte Kommunikation (UK) ist schon länger ein wichtiges Thema in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Seit 2019 gibt es ein übergreifendes Projekt, das die Aktivitäten der einzelnen Bereiche bündelt. Der Arbeitskreis Unterstützte Kommunikation soll im Rahmen der ESA-Unternehmensstrategie Standards zur UK entwickeln, die in der gesamten Stiftung Anwendung finden. Der Erste war der Wortschatz „Zeig mal“. Wie sind die Erfahrungen damit und wo steht die Stiftung heute bei dem Thema? Ein Interview mit Gesine Drewes, Projektleiterin von „Unterstützte Kommunikation – Teilhabe stärken!“ und Julia Bömelburg, Q8 Werkstudentin.
Vor knapp zwei Jahren haben wir in der ESA die „Zeig mal“ Plakate und -Videos eingeführt. Das ist eine Auswahl von 68 Wörtern, die nun überall in der Stiftung mit den gleichen Symbolen und Gebärden dargestellt und genutzt werden sollen. Was ist daraus geworden, und was ist seitdem passiert?
Gesine Drewes: Sehr viel. Ich würde sagen: Wir haben in vielen Köpfen einen Bewusstseinswandel zu dem Thema geschafft.
Inwiefern?
Gesine Drewes: Es ist uns gelungen, dass sehr viele Menschen in der Stiftung mit dem Begriff Unterstützte Kommunikation etwas anzufangen wissen. Die Basis dafür war ja das „Zeig mal“-Plakat. Wir haben über 5000 davon gedruckt und sie in alle Bereiche der Stiftung gegeben. Sie hängen jetzt in Büros und Gemeinschaftsräumen, auf dem Flur oder im Krankenhaus.
Julia Bömelburg: Dazu gab es unzählige Veranstaltungen, beispielsweise in Hausgemeinschaften, in Tagesförderstätten, in verschiedenen Gruppen der Stiftung. Es ging darum zu vermitteln, wofür das Plakat da ist und warum es wichtig ist, dass jeder sich damit auseinandersetzt.
Das Plakat war also nur der Ausgangspunkt für vielfältige Aktivitäten?
Gesine Drewes: Ja, genau. Parallel haben wir die Community (einen digitalen Arbeitsraum) zur UK innerhalb von MyESA, unserem stiftungsweiten Social Intranet, aufgebaut.
Julia Bömelburg: Dort finden sich alle Materialien, die wir inzwischen zu dem Wortschatz „Zeig mal“ gemacht haben: das Plakat, die einzelnen „Container“ bestehend aus dem Wort, einer Gebärdenzeichnung und dem Metacom-Symbol und die Videos vom Kreativteam von barner16, die eine Erklärung des Wortes liefern. Die Filme werden übrigens ganz vielfältig genutzt: zum Selbstlernen von Gebärden, zum gemeinsamen Lernen in der Gruppe oder um einfach Spaß zu haben. Das ist uns insgesamt wichtig: UK soll Spaß machen und „alltagstauglich“ sein. Die Community hat inzwischen über 300 Mitglieder. Die tauschen sich auch über kreative Ideen aus, UK in ihren Bereichen umzusetzen. Da gibt es beispielsweise Memory-Spiele, bei dem Begriff und Gebärde zusammenpassen müssen und Spielideen.
Fühlten sich überhaupt alle Kolleginnen und Kollegen angesprochen von dem Thema „Unterstützte Kommunikation“?
Gesine Drewes: Nein. Es gab einige, die gefragt haben: Was habe ich damit zu tun? Ich arbeite gar nicht mit Menschen, die unterstützt kommunizieren. Aber darum geht es ja genau: Jeder und jede bei der ESA, alle Klientinnen und Klienten und alle Mitarbeitenden sind mögliche Gesprächspartner*innen. Wenn man vorbereitet ist auf Gespräche, die mit alternativen Unterstützungsformen stattfinden, geht es leichter. Und das ist über das Plakat und die anderen Aktivitäten gelungen. Die Menschen sind darüber ins Gespräch gekommen, haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Das war das Ziel. Es geht ja vor allem um eine Haltung.
Wie meinen Sie das?
Gesine Drewes: Es geht darum zu verstehen, was der eigene Anteil ist, was ich persönlich dazu beitragen kann, dass Kommunikation gelingt. Viele blicken auf UK als ein Thema von kommunikationseingeschränkten Menschen: Die brauchen Unterstützung, die brauchen ein Hilfsmittel. Und ich brauche das nicht. Aber so funktioniert Kommunikation nicht. Denn es ist ja etwas Beidseitiges und klappt nur, wenn auch ich eine andere Sprache lerne. Es geht darum, dass die Bereitschaft entsteht, sich selber zu ändern. Das ist die Grundvoraussetzung für das, was wir alle hier mit unserer Arbeit erreichen wollen.
Das klingt groß.
Julia Bömelburg: Das ist es auch: Bei allem, was wir in der Stiftung tun, steht ja immer der Wille des Einzelnen im Mittelpunkt. Aber dafür müssen Menschen ihren Willen äußern können und andere müssen ihn erkennen und verstehen. Und dabei ist Kommunikation der Schlüssel.
Was glauben Sie, war der wichtigste Faktor für den Erfolg?
Gesine Drewes: Die Stiftung hat dem Thema durch ihr inhaltliches und finanzielles Engagement wirklich Rückenwind gegeben. Wichtig ist auch, dass es neben den vielen UK-Projekten in den einzelnen Bereichen, insbesondere in der Eingliederungshilfe, das übergeordnete ESA-UK-Projekt mit dem Arbeitskreis gibt, in dem jeder Bereich der Stiftung mit mindestens einer Person vertreten ist. So werden die Aktivitäten gebündelt und sinnvoll koordiniert. Das Thema hat heute viel mehr Aufmerksamkeit, und es gibt eine Bereitschaft auf allen Ebenen, sich zu beteiligen.
Wo steht die Stiftung heute im Vergleich zu anderen?
Gesine Drewes: Es gibt Einrichtungen, die schon viel früher als wir damit begonnen haben, alle Mitarbeitenden in Unterstützter Kommunikation zu schulen. Das ist natürlich bei kleineren Einrichtungen, einer einzelnen Schule oder bei nur wenigen Standorten an einem Ort viel einfacher. Die ESA hatte sich ja zuerst in die Stadtteile geöffnet, hat neue Möglichkeiten für selbstverantwortliches Leben eröffnet. Dabei ist eine neue Notwendigkeit für eine gelingende Kommunikation entstanden. Denn ich kann mein Leben nicht gestalten, wenn ich nicht kommunizieren kann. Wie wir UK mit diesem Ansatz und in einer so großen Einrichtung umsetzen, stößt auf großes Interesse.
Julia Bömelburg: Wir bekommen viele Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet. Von Einrichtungen, von Fachkräften und natürlich auch von Menschen, die mit Angehörigen unterstützt kommunizieren wollen.
Gesine Drewes: Wir waren bei dem Thema noch nie so weit wie heute. Aber es bleibt noch viel zu tun.
Zum Beispiel?
Gesine Drewes: Es ist schon enorm viel geschafft, wenn es innerhalb der Stiftung zu weniger Abbrüchen von funktionierender Kommunikation kommt, weil wir einheitliche Standards haben und viel mehr Kolleg*innen über UK Bescheid wissen. Aber eigentlich müsste die Vernetzung weit darüber hinaus gelingen. Das ist aber nicht der Fall. Bislang gibt es weder in Hamburg und schon gar nicht im Bundesgebiet eine systematische Zusammenarbeit. Das sollte sich dringend ändern.
Ist es das, was Sie sich für die Zukunft wünschen?
Gesine Drewes: Ja. Und ich habe noch einen Appell: Beschäftigt euch alle mit dem Thema Unterstützte Kommunikation! Es geht dabei nicht nur um Menschen mit einer geistigen Behinderung. UK hilft, wenn jemand an Demenz erkrankt ist, einen Schlaganfall erleidet, wenn der Nachbar nicht eure Sprache spricht – das Thema hat eine gesamtgesellschaftliche Komponente.
Text: Sandra Wilsdorf
Dieser Artikel erschien ursprünglich im alsterdorf Magazin 03 2024.
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