Großveranstaltungen sind für Menschenmassen geplant. Und in der Masse geht der Einzelne unter. Das kann gut sein, wenn man einfach mal für ein paar Stunden im Wir-Gefühl aufgehen und die Sorgen loswerden möchte. Für Menschen mit Behinderung ist das aber schwierig.
Sie gehen konstant in der Menge unter, werden übersehen und ihre Bedürfnisse nicht erkannt. Und das ganz besonders bei Großveranstaltungen. Hier geht man vom Durchschnitts-Menschen aus. Der hat keine Behinderung, kann alles verstehen, überall hinkommen und mal schnell ums Eck.
Menschen mit Behinderung wollen aber auch mal alle Sorgen loswerden und sich bedenkenlos der Menge anschließen. Wir haben es dieses Jahr möglich gemacht – auf dem Schlagermove, dem Karneval des Nordens.
Jedes Jahr zieht der Schlagermove die Massen an und dieses Jahr waren wir, die Evangelische Stiftung Alsterdorf (ESA), mittendrin – mit unserem eigenen barrierefreien Truck. Kolleg*innen, Klient*innen und Vorstände haben zusammen die bunte Vielfalt gefeiert.
Welche Aspekte sind in Sachen Barrierefreiheit bei Großveranstaltungen zu bedenken?
Barrierefreiheit bedeutet mehr als ein abgesenkter Bordstein. So vielfältig, wie Menschen eben sind, können auch ihre Beeinträchtigungen sein. Beispielsweise beeinflusst nicht oder nicht gut Gehen, Sehen oder Hören zu können das Miteinander stark.
Für Menschen mit Geh-Beeinträchtigungen gibt es schon einige gängige Lösungen: Rampen, Fahrstühle, ebenerdige Wege oder große rollstuhlgerechte Toiletten mit Haltegriffen. Insgesamt ist es zwar noch ausbaufähig, aber an den*die Rollstuhlfahrer*in wird in Sachen Barrierefreiheit als erstes gedacht.
Es sind aber nicht nur die physischen Barrieren. Um hör- oder sehbeeinträchtigte Menschen zu erreichen, muss gewährleistet sein, dass alle Informationen über mehrere Kommunikationswege laufen: mindestens akustisch und schriftlich. Menschen mit kognitiven Einschränkungen kann die Vermittlung mit metacom-Symbolen oder Gebärden helfen, wie es bei der Unterstützten Kommunikation gemacht wird.
Kurz zusammengefasst: Bei Großveranstaltungen müssen alle Menschen überall hinkommen können, ob zu Fuß, mit dem Gehstock oder dem Rollstuhl. Für sie müssen sanitäre Anlagen mitgeplant werden, die natürlich auch gut erreichbar sein sollten. Außerdem sollte alles Wichtige (am besten auch die weniger wichtigen Neuigkeiten) mündlich und schriftlich übermittelt werden. Bei Schildern kann man zusätzlich mit Symbolen arbeiten, um das Verständnis zu erleichtern.
Und was muss bei einem Truck mitbedacht werden, wenn er barrierefrei sein soll?
Als wir angefangen haben, den barrierefreien Truck zu planen, haben wir eine wichtige Entscheidung getroffen: Wir haben Menschen mit Behinderung in die Planung mit einbezogen. Da im Event-Team eine Kollegin arbeitet, die im Rollstuhl sitzt, Gebärdensprache kann und sehr vernetzt ist, hatten wir schon sehr viel Expertise direkt mit an Board. Aber nicht alle haben eine*n Kolleg*in mit diesem Erfahrungsschatz. Deshalb erklären wir hier nochmal, was wir beim Truck-Bau anders gemacht haben.
Unser barrierefreier Truck für den Schlagermove war ausgestattet mit einer Hebebühne, damit die Rollstuhl-Fahrer*innen leicht hoch- und runterkommen. An den Außenseiten des Trucks waren abgesenkte Gitter angebracht, damit auch sitzende Menschen rausschauen und Stimmung machen konnten. Zusätzlich gab es Bodenanker zum Festmachen der Rollstühle.
Im Vorhinein haben wir auch diskutiert, wie hoch der Wagen sein darf. Mehrstöckig? Wir haben uns dagegen entschieden. Denn bei einem mehrstöckigen Truck muss man Treppen einbauen. Und das würde bedeuten, dass die geh-beeinträchtigten Menschen nicht oben mit feiern könnten. Deshalb feiern auf unserem Wagen alle auf derselben Ebene. Außerdem hatten wir auf unserem Truck eine rollstuhlgerechte Toilette.
Mit an Board waren auch Kolleg*innen aus dem Vorbereitungs-Team, die über sozialpädagogische und pflegerische Kompetenzen verfügen sowie die Event-Kollegin, die Gebärdensprache kann. Zugegebenermaßen haben wir in der ESA als Dienstleistungsunternehmen im sozialen Bereich naturgemäß kurze Wege zu partywütigen Mitarbeiter*innen mit diesen Kompetenzen.
Der Schlagermove war die Probefahrt unseres barrierefreien Trucks. Hat sich der Wagen bewährt? Muss etwas nachgebessert werden?
Allen voran hat sich die Hebebühne bewährt. Der Truckbauer hat alle technischen Herausforderungen gut umgesetzt, wie die Halterungen am Boden zur Befestigung der Rollstühle. Diese Befestigungen haben sich allerdings als Stolperfalle herausgestellt. Für die nächste Fahrt haben wir flexible Poller auf Kniehöhe angeschafft. Diese können an die freien Bodenanker angebracht werden und sind besser sichtbar.
Bei der nächsten Fahrt werden wir auch den Raum vor der Toilette und vor dem DJ-Pult besser trennen. Die Getränke werden dann vom Personal am DJ-Pult ausgegeben und stehen nicht mehr frei zum selbst Einschenken. So sollten die Wartenden vor der Toilette nicht mehr mitten in der Tanzmeute stehen und die Tanzenden laufen nicht mehr Gefahr, diejenigen anzurempeln, die sich gerade ein Getränk machen.
Nächste Fahrt? Wo kommt der barrierefreie Truck noch zum Einsatz?
Traditionell beschließt die Hamburger Pride Week der CSD – und wir sind diesmal (weit) vorne, Wagen 24, mit dabei. Alle Fähnchen, Flaggen und Goodies sind gepackt: Wir sind startklar, um wieder für #VielfaltMachtStark auf die Straße zu gehen. Mit an Board sind viele Klient*innen sowie unsere Mitarbeiter*innen.
Wie feiert es sich auf einem barrierefreien Truck mitten in der Menge?
Richtig gut! Die positiven Vibes unseres Schlagermove-Trucks können Sie in diesem Artikel samt Video erspüren. Beim Karneval des Nordens haben wir gezeigt, dass alle zusammen mit all ihrer Vielfalt Spaß haben können.
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