Als Martha L. während ihres Aufenthaltes im Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf (EKA) gefragt wurde, ob sie Lust hätte, einmal wöchentlich an einem Kunstprojekt teilzunehmen, staunte die ältere Dame nicht schlecht. Aufgrund ihrer Demenz machte sie in der letzten Zeit häufig die Erfahrung, dass sie mit ihrer Einschränkung zunehmend weniger am normalen Leben teilhaben konnte. Umso mehr freute sie sich, nach anfänglicher Skepsis, mit dabei zu sein.
zusammenkultur – so heißt das inklusive Q8-Kulturprojekt der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Im Rahmen dieses Projekts hat Leitung Conny Zolker gemeinsam mit Schüler*innen der fachschule für soziale arbeit alsterdorf ein besonderes Format entwickelt: ein Kunstprojekt, inklusiv, für Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen – welcher Art auch immer.
Seit Februar dieses Jahres führen im Wechsel sieben Schüler*innen der Fachschule einmal wöchentlich das Kunstprojekt als Projektarbeit für ihre Schule im Krankenhaus durch. Vorab überlegen sie, mit welchen Materialien beim nächsten Termin gearbeitet werden soll: Murmelbilder, Fingerfarben, aber auch mit Ton arbeiten oder unter- schiedliche Maltechniken ausprobieren.
Fachlich begleitet werden sie hierbei von Kunsttherapeutin Martina Schlinke. Teilnehmen können Patient*innen aus dem Krankenhaus, aber auch Klient*innen aus dem tagewerk alsterdorf, das seine Räume direkt am Alsterdorfer Markt hat und zur alsterdorf assistenz west gehört. Insgesamt sind es 6 bis 8 Teilnehmer*innen. Durch wechselnde Patient*innen und Klient*innen setzt sich die Gruppe aber fast jedes Mal neu zusammen – für alle Beteiligten immer wieder eine kleine, spannende Wundertüte, so die Schüler*innen schmunzelnd.
„Die Teilnehmer*innen sind immer mit so viel Freude, Konzentration und Lachen dabei“, schwärmt auch Kunsttherapeutin Martina Schlinke begeistert. Wichtig ist nicht das Ergebnis, sondern das gemeinsame Ausprobieren und Tun, jeder bringt eigene Ideen mit. „So entstehen wunderbare bunte Kunstobjekte, die mit einem Lächeln den Tag verzaubern“, so Schlinke.
Laut und lustig – so geht es dann auch häufig in der Runde zu. Und doch finden auch die leisen Momente ihren Platz. Auch Martha L. findet mit ihrer Lebensgeschichte Gehör bei den anderen. Plötzlich werden Geschichten und persönliche Erfahrungen aus dem Leben der Teilnehmer*innen erzählt und alle sind ganz Ohr.
„Es ist jedes Mal wieder eine ganz besondere Erfahrung, wie sich die Menschen völlig vorurteilsfrei über die Einschränkungen und Befindlichkeiten der Einzelnen hinweg zusammenfinden und gemeinsam über die Kunst in einen ganz persönlichen Austausch kommen. Man hört sich zu“, erläutert Schlinke, so berührt es auch die Schüler*innen.
„Selbst Kunst zu schaffen ermöglicht stark emotionale Erlebnisse, die z. B. Menschen mit einer Demenz oder anderen kognitiven Einschränkungen länger in Erinnerung bleiben, weil Gefühle und nicht der Kopf angesprochen werden“, weiß auch Jochen Wieseke, Demenzbeauftragter im EKA. Gemeinsam mit Ergotherapeutin Navina Wytrickus überlegt er vorab, welche Patient*innen im EKA von diesem Zusatzangebot zur rein medizinischen und therapeutischen Versorgung profitieren können. Beide freuen sich immer wieder sehr darüber, dass über die Kunst noch einmal eine andere emotionale Ebene so intensiv angesprochen wird, und bekommen von den Teilnehmer*innen durch- weg positive Rückmeldungen.
Eine Erfahrung, die auch Dorothea Starke bei der Begleitung ihrer teilnehmenden Klient*innen des tagewerks alsterdorf macht: „Unsere Klient*innen profitieren sehr von dem persönlichen Austausch mit den anderen Teilnehmer*innen. Für sie ist es eine tolle Möglichkeit, auch noch einmal außerhalb ihrer normalen Beschäftigungen emotional anders angesprochen zu werden und sich auszuprobieren.“
In der gut zweimonatigen Vorbereitungsphase für das Projekt fand sich eine große Gruppe verschiedenster Akteure zusammen, die an der Umsetzung beteiligt sind: die Schüler*innen der fachschule für soziale arbeit alsterdorf, Marie, Charlyn, Simone, Denisa, Anissa, Nesrin und Can, Demenzbeauftragter Jochen Wieseke, Ergotherapeutin Navina Wytrickus, EKA-Projektleitung Kerstin Hopf, Kunsttherapeutin Martina Schlinke, Dorothea Starke vom tagewerk alsterdorf und Conny Zolker von zusammenkultur.
Gemeinsam wurde das Format geplant und entwickelt. Wieseke und Wytrickus bereiteten zudem die Schüler*innen hierfür auf mögliche Besonderheiten der Teilnehmer*innen vor. In Kurzschulungen, aber auch in Vorab-Hospitationen im Krankenhaus konnten die Schüler*innen erste Erfahrungen sammeln und Berührungsängste abbauen.
In einer wöchentlichen Nachbesprechung wird zudem immer wieder nachjustiert: Erfahrungen werden ausgetauscht, was war gut, was kann besser laufen, was hat persönlich berührt. Und immer wieder kommt sehr viel positives Feedback von allen Seiten, nicht nur von den Teilnehmer*innen. Weitere Stationen im Krankenhaus haben eine Durchführung angefragt, auch in der EKA-internen Demenz AG sowie im Demenznetzwerk Wandsbek-Nord ist das Interesse sehr groß.
„Wir hätten uns nicht träumen lassen, dass unser kleines Kunstprojekt so viele emotional so anspricht“, so die Schüler*innen begeistert. „Es ist so berührend, zu erfahren, wie viel es den Teilnehmer*innen bedeutet und welche Veränderungen es auch in ihrem Alltag bewirken kann.“ Im Rahmen ihrer Projektdokumentation führen sie ein umfangreiches Logbuch, das auch diese Erlebnisse dokumentiert. Die abschließende Präsentation der Studienarbeit in der fachschule für soziale arbeit alsterdorf wird sicherlich für alle Beteiligten noch einmal ein ganz besonderer Moment werden.
„Für mich ist dieses Projekt so besonders, weil wir als großes Team, mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen, aber immer auf Augenhöhe und mit Respekt, gemeinsam dieses tolle Kunstprojekt auf den Weg bringen konnten“, freut sich Conny Zolker. „Mit Leidenschaft, Spaß und Neugierde haben wir so ein vielleicht wegweisendes inklusives Projekt mit viel Herzblut für Teilhabe für alle Menschen gestartet.“ Fortsetzung folgt – ganz sicher, da sind sich alle einig.
Text: Daniela Steffen-Oschkinat
Der Artikel erschien ursprünglich im alsterdorf Magazin 02 2024.
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