- 1933 - 1945
Kasten

Die NS-Zeit
Die Stiftung wird unter der Leitung von Stritters Nachfolger, Pastor Friedrich Lensch, zur Heil- und Pflegeanstalt, einem "Spezialkrankenhaus für alle Arten geistiger Defektzustände". Der damalige Oberarzt Dr. Gerhard Kreyenberg entwickelt ein umfassendes Modernisierungskonzept im Sinne des medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritts. Röntgentiefbestrahlungen, Insulin- und Cardiazol-Schockbehandlungen, Dauerbäder, Schlaf- und Fieberkuren sollen geistig behinderten Menschen Heilung und Linderung bringen.
Sterilisation auf Befehl
Da nach damaliger Auffassung der Erbfaktor bei der Entstehung von Behinderungen und Erkrankungen eine große Rolle spielt, bekommt die erbbiologische Forschung eine besondere Bedeutung. Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" von 1933 wird in Alsterdorf begrüßt und in Form von Massensterilisationen in die Tat umgesetzt. Der nationalsozialistische Staat wird in Alsterdorf offenbar voll und ganz bejaht: Die meisten Mitarbeiter sind Parteigenossen, Mitglieder der SA oder anderer Gliederungen der Partei. Die Anstalten erhalten zahlreiche Auszeichnungen, werden zum "Nationalsozialistischen Musterbetrieb" erklärt.
Deportation und Vernichtung
Alsterdorf gibt erschütternde Beispiele: 1938 - nur wenige Tage nach dem 75-jährigen Stiftungsjubiläum - werden ohne äußeren Druck 26 jüdische Bewohner in andere Einrichtungen verlegt und dort getötet. Ein Jahr später - die Stiftung hat inzwischen 1.900 Bewohner - laufen die NS- Vernichtungsaktionen an. Schon in "Mein Kampf" hatte Adolf Hitler das Gedankengut von Binding und Hoche aufgenommen. Jetzt nutzt er die Wirren des Zweiten Weltkrieges für dessen Umsetzung. 1941 werden - ausgewählt von Dr. Kreyenberg - 71 Alsterdorfer, im August 1943 nach den schweren Bombenangriffen auf Hamburg weitere 469 Bewohner in nationalsozialistische Tötungsanstalten deportiert. Hinzu kommen Verlegungen in die Fachabteilung des Krankenhauses Rothenburgsort, wo Kinder Opfer medizinischer Experimente werden. Die meisten Deportierten sind jedoch Erwachsene. "Euthanasie"-Ärzte ermorden sie durch systematisches Verhungernlassen und Überdosierung von Medikamenten. Insgesamt wurden 630 Bewohnerinnen und Bewohner aus den Alsterdorfer Anstalten in Zwischen- oder Tötungsanstalten abtransportiert, darunter auch viele Kinder, alleine neun direkt in die sog. Kinderfachabteilungen. 513 abtransportierte Bewohnerinnen und Bewohner wurden nachweislich getötet, fünf überlebten das Kriegsende und starben kurz danach an Entkräftung, von 34 ist das Schicksal unbekannt. Nur achtzig haben überlebt.