Los Jezz!

Ihr Leben ist die Musik! Die Besetzung von 2023 von Station 17 bei einem Auftritt in der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg. v.l. Ernesto Schnettler, Nils Kempen, Philipp Wulf, Sebastian Stuber, Philip Riedel, Matthias Knoop.

Seit 1989 gibt es „Station 17“ – die Band, die in keine Schublade passt. Musik aus dem Bauch heraus, direkt auf die Ohren und in die Herzen ihrer Zuhörer*innen. Ehrlich, kraftvoll und „wunderbar verrückt“. So schrieb der SPIEGEL einst über das inklusive ESA-Musikkollektiv.

Was macht den beständigen Erfolg einer Band aus? Die Kreativität, die sich in ihren Songs widerspiegelt und die die Fans immer wieder begeistert? Einzelmusiker, die ihr Talent auf geniale Weise in die Gruppe einbringen und deren Sound so unverwechselbar machen? Die Kraft, sich musikalisch weiterzuentwickeln, sich immer wieder neu zu erfinden, um so das Publikum aufs Neue in ihren Bann zu ziehen?

Sicher eine Mischung all dieser Faktoren! Und natürlich Fantasie: „Für mich ist Fantasie die Essenz von Musik, die Fantasie ohne Grenzen, die Kombination von Dingen, die nicht zusammenpassen“, so lauten die ersten Textzeilen von „Los Jezz!“, einem frühen Song von „Station 17“.

Von der Wohngruppe auf die Konzertbühnen: Das Markenzeichen der Band, über die Grenzen Hamburgs bekannter Teil der ESA- Kulturschmiede barner 16, ist der Wandel: musikalisch wie personell. In knapp 35 Jahren wirkten weit über 20 Musiker*innen in verschiedenen Formationen bei Station 17 mit, entstanden zwölf Studioalben, vier TV-Dokumentationen, gab es rund 120 Live-Auftritte.

Und wie wichtig ist das „Inklusive“? „Ja, wir sind eine inklusive Band und das macht uns sicher auch ein Stück weit besonders“, sagt Nils Kempen, Gitarrist bei „Station 17“. „Und natürlich sind wir sehr stolz darauf, dass wir dazu beitragen können, dass Musiker*innen mit einer Behinderung mehr Sichtbarkeit im Musikbetrieb und der Öffentlichkeit insgesamt bekommen, dass wir auch Inspiration für andere inklusive Bandprojekte sein können. Aber wenn wir uns im Proberaum treffen, dann sind wir einfach nur Musiker*innen, die gerne zusammen Musik machen.“

Von der Wohngruppe ins Tonstudio

Die Idee zur Band hatte Kai Boysen. Der Punkmusiker arbeitete Ende der 1980er- Jahre als Heilerzieher, unter anderem mit den Bewohner*innen der „Station 17“, einer Wohngruppe der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Beim Nachtdienst hört er Geräusche aus den Zimmern: Gemurmel, Singen. Boysen entwickelt die Eindrücke zur Idee, Menschen aus der Wohngruppe mit professionellen Musikern zusammenzubringen.

Über seine vielfältigen Kontakte in die Hamburger Musikszene nimmt das Projekt Fahrt auf. Kurz darauf stehen zehn Bewohner der „Station 17“ in einem Tonstudio, 1990 erscheint das erste Album.

Vom Experiment zum Kult

Bei allen musikalischen Häutungen der Band vom Krautrock über elektronische Musik bis hin zu Popstücken – eines ist bei „Station 17“ immer gleich geblieben: der professionelle Anspruch. Und der wurde von Produzent*innen, Konzertveranstaltern und Musikverlagen gesehen und wertgeschätzt.

Auch die Medien wurden schnell auf die Hamburger Musiker*innen mit und ohne Behinderung aufmerksam. SPIEGEL, Stern, DIE ZEIT oder die Süddeutsche Zeitung berichteten ausgiebig. Von Anfang an begleiten Größen der deutschen Musikszene die Arbeit von „Station 17“: Michael Rother, Gründer der Elektro- Pioniere „Kraftwerk“, die Hamburger Hip-Hop-Band „Fettes Brot“ oder Camping, der Sänger der Punkband „Die Toten Hosen“.

Im Zuge der Werbekampagne anlässlich der Umbenennung der Sozialorganisation „Aktion Sorgenkind“ zur heutigen „Aktion Mensch“ fotografierte Anton Corbijn, der sonst Stars wie Depesche Mode und U2 vor der Kamera hat, die Musiker*innen der Band. Der Erfolg ist den Künstler*innen nie zu Kopf gestiegen. Bis heute eint sie vor allen Dingen das Motto: „Wir wollen Spaß haben mit unserer Musik!“

Im Hier und Jetzt

Vor wenigen Wochen hat „Station 17“ ihr 12. Album rausgebracht: „OUI BITTE“. Die Pandemiejahre hatten das Bandleben, das vorrangig aus gemeinsamen Sessions in den Übungsräumen in der Barnerstraße 16 in Hamburg-Altona und vielen Live-Auftritten bestand, neu sortiert. Aus den heimischen vier Wänden spielten die Musiker*innen ihre Gitarre-, Bass-, Schlagzeug- und Gesangssequenzen ein. Kommuniziert wurde über Internet-Chat-Dienste oder übers Handy.

v.l. Nils Kempen, Ernesto Schnettler, Sebastian Stuber, Matthias Knoop, Philip RiedelNach einer Phase der Distanz wollten „Station 17“ 2023 „nur mal wieder beim Musizieren gemeinsam in einem Raum stehen“. So schreiben sie selbst auf dem Cover von „QUI BITTE“. Dass dabei gleich ein ganzes Album mit sieben sehr unterschiedlichen Songs herauskommen würde, hatte keiner aus der Band erwartet.

Und wie war es für die Musiker*innen, als es wieder ins Tonstudio ging? „Unsere ersten Treffen in der Barnerstraße 16, unsere ersten gemeinsamen Proben nach Corona, das hat sich alles so angefühlt, als ob man nie weg gewesen wäre“, erinnert sich Ernesto Schnettler, Sänger und Gitarrist.

Gibt es nach dem aktuellen Album neue Pläne? „Also jetzt wollen wir erst mal ein bisschen durchatmen und eine kleine Pause einlegen – und dann im Frühjahr wieder durchstarten“, so Siyavash Gharibi, der Percussionist der Band. „Auf jeden Fall wollen wir 2024 wieder mehr Konzerte spielen!“ Backstage mit Text: Ingo Briechel
Der Artikel erschien ursprünglich im alsterdorf Magazin 01 2024.

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